9. Stolpersteinverlegung in Kirchhain – gegen das Vergessen

Am 16. Juni 2025 wurden in Kirchhain zum neunten Mal Stolpersteine zum Gedenken an jüdische Familien verlegt, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Die neun verlegten Stolpersteine erinnern an das Leben und die Verfolgung der Familien Emanuel Bachenheimer, David Strauss und Moritz Strauss. Über 70 Schülerinnen und Schüler wirkten bei der Stolpersteinverlegung mit; rund 200 Besucherinnen und Besucher aus Kirchhain und auch Gäste aus den USA nahmen an der Zeremonie teil.

In der Schefferstraße 11 wurde Emanuel und Ida Bachenheimer und ihrer Söhne Julius, Louis, Herbert und Hermann gedacht. Zwischen 1933 und 1938 floh die gesamte Familie nach Chicago – wobei es Ida am schwersten fiel, Deutschland zu verlassen. „They couldn’t believe they were no longer wanted“, erklärte Carol Zar, Enkelin von Ida und Emanuel Bachenheimer, die mit ihrer Schwester Judith, Sohn David und Schwiegertochter René und Enkel Ian extra zur Verlegung aus den USA angereist war.

Auch David Strauss, der ein angesehener Geschäftsmann in Kirchhain war und sich in der Weimarer Republik erfolgreich für die Gleichberechtigung der jüdischen Kirchhainer bei der Vergabe der „Graselosen“ eingesetzt hatte, verließ mit seiner Frau Fani gezwungenermaßen Deutschland. Noch 1940 gelang dem Ehepaar die Flucht in die USA zu ihren drei Söhnen, die bereits zuvor Deutschland verlassen hatten. Für das Ehepaar wurden in der Niederrheinischen Straße 12 Stolpersteine verlegt.

Moritz und Berta Strauss, die in der Borngasse 31 wohnten, gelang die rettende Flucht aus Nazideutschland nicht. Sie wurden am 8. Dezember 1941 im Zuge der ersten großen Deportation aus dem Landkreis ins Ghetto Riga deportiert und ermordet. Ihren Sohn Hans hatte das Ehepaar im März 1939 mit einen Kindertransport nach England schicken können. Doch wurde der junge Mann dort 1940 nun als potenziell feindlicher Ausländer für über zwei Jahre interniert – zuletzt in Kanada. Er zog später in die USA. Eindrücklich und berührend führte der DS-Kurs der Jgst. 10 unter Leitung von Silke Trux in einer szenischen Collage vor Augen, was es für den jungen Mann bedeutet haben mochte, durch die Nazis jeder beruflichen Zukunft beraubt zu werden, seine Eltern in Deutschland zurücklassen zu müssen und jahrelang im Ungewissen über ihr Schicksal zu sein.

Die Familienbiografien waren von Schülerinnen und Schüler der Stolperstein-AG und des WU-Kurses „Geschichte erforschen und dokumentieren“ (beide unter der Leitung von Paula Trzaskalik und Barbara Sonnenberger) sowie vom Heimat- und Geschichtsverein Kirchhain recherchiert worden; sie wurden auch von diesen an den jeweiligen Verlegstellen vorgetragen. 

Die Redebeiträge während der Zeremonie von Bürgermeister Olaf Hausmann, der Vizepräsidentin des Hessischen Landtags, Angela Dorn, der Stolperstein-AG der AWS und des Schulleiters Matthias Bosse betonten die Bedeutung der Erinnerung und warnten davor, Mitmenschen ihre Menschlichkeit abzusprechen. Das Schicksal der Kirchhainer Jüdinnen und Juden zeige, dass völkischer Nationalismus und das Infragestellen von Grundrechten zu Gewalt und Mord führen, betonten die Schülerinnen der Stolperstein-AG. Es sei wichtig, dem erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland ganz konkret entgegenzutreten: auf dem Schulhof, in der Familie und eben auch durch das Erinnern an das Schicksal der jüdischen Familien in Kirchhain.

Die WU-Kurse Musik der Jahrgänge 9 und 10 unter Leitung von Dagmar Klinger und Michael Korte rahmten die Stolpersteinverlegung würdevoll musikalisch ein. Das gut 30-köpfige Ensemble stellte durch den Popsong „Where ist he love“, das jiddische Lied „Donna Donna“ und das hebräische Friedensgebet „Hevenu shalom“ auch sehr passende inhaltliche Bezüge her.

Schulveranstaltung mit Familie Zar/Golding

Am Dienstag, dem 17. Juni 2025, besuchten die Nachfahren der Familie Bachenheimer die Alfred-Wegener-Schule und stellten sich den Fragen zweier Schulklassen. Die Schülerinnen und Schüler der Jgst. 9 und 12 konnten von Carol Zar (Jg. 1945) und Marion Golding (Jg. 1939) erfahren, wie sich das Leben der Familie nach der Flucht in Chicago gestaltete und welchen Einfluss die nationalsozialistische Verfolgung auf die Familiengeschichte hatte: Da die Familie durch die Nationalsozialisten ihres sämtliches Vermögens beraubt worden war, musste z.B. die Mutter der beiden – anders als in Deutschland – arbeiten gehen und die beiden wurden im Wesentlichen von ihrer Großmutter Ida aufgezogen – auf Deutsch und mit typisch deutschem Essen. Von David, René und Ian Zar konnten die Schüler:innen viel über das gegenwärtige Leben in den USA erfahren, und ihre Fragen reichten von Trump bis zum Alltag an der Highschool.

Es war eine große Bereicherung für die Schülerinnen und Schüler, aus der Perspektive dreier Generationen etwas über die Erfahrungen einer Familie berichtet zu bekommen, die einst in Kirchhain zu Hause war und sich dann in den USA ein neues Leben aufbauen musste.

Barbara Sonnenberger

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